Österreich hat, wie in den Zeitungen berichtet wurde, vor kurzem feststellen müssen, dass protektionistische nationale Gesetze in einem liberalen und modernen Europa keinen Platz mehr haben. Die Mediaprint wollte gerichtlich erzwingen, dass gegen die „Österreich“-Zeitungsverlag GmbH § 9a des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 (UWG, BGBl. I Nr. 448/1984) angewendet wird. Die Große Kammer des Gerichtshofs ersuchte um Rechtshilfe durch die Europäischen Kommission, die mit ihrer Stellungnahme aufhorchen ließ:
„Wie nämlich vom vorlegenden Gericht [dem Österreichischen OGH; Anm.] dargelegt, zielt Art. 9a Abs. 1 Z 1 UWG ausdrücklich auf den Schutz der Verbraucher und nicht nur auf den Schutz der Mitbewerber und der anderen Marktteilnehmer ab. […] Selbst wenn man davon ausgeht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestimmung im Wesentlichen das Ziel der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt in Österreich verfolgt, ist darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, in ihrem Gebiet Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, die bezwecken oder bewirken, dass Geschäftspraktiken aus Gründen der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt als unlauter eingestuft werden, nicht zu den in den Erwägungsgründen 6 und 9 sowie in Art. 3 der Richtlinie [84/450/EWG; Anm.] genannten Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich gehört. […] Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass […] die Mitgliedstaaten, wie dies in Art. 4 der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen ist, keine strengeren als die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen erlassen dürfen, und zwar auch nicht, um ein höheres Verbraucherschutzniveau zu erreichen (Urteil Plus Warenhandelsgesellschaft, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). […] Außerdem widerspricht eine solche nationale Regelung, die strengere als die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen vorsieht, dem Inhalt von Art. 4 der Richtlinie, der es den Mitgliedstaaten ausdrücklich untersagt, solche Maßnahmen beizubehalten oder zu erlassen, selbst wenn mit solchen Maßnahmen ein höheres Verbraucherschutzniveau erreicht werden soll. […] Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die […] nicht nur auf den Schutz der Verbraucher abzielt, sondern auch andere Ziele verfolgt.“
Dies trifft auch für die Zugangsbeschränkungen für Berufsfotografen in Österreich zu. Deren Ziel ist primär die marktwirtschaftliche Kontrolle des Angebots sowie die kartellartige Aufrechterhaltung eines vermutlich zu hohen Preisniveaus.
Europarecht sticht nationales Recht – die letzte Runde für die Protektionisten unter den österreichischen Kammerfunktionären könnte demnächst eingeläutet werden.
Für eine Hand voll Dollar …
Sie haben es getan, und zwar schon wieder: Neuerlich wurde eine Broschüre, die für Österreichs Berufsfotografen werben soll, mit Stockfotos bebildert. Die selben Meister, die für das „goldene Handwerk“ so oft und gerne Stimmung machen, halten ihr eigenes Silber lieber fest zusammen und kaufen dort ein, wo der Fotograf mit wenigen Cent Werklohn abgespeist wird.
Stockfotografie führt, wie das auch voriges Jahr in der Tagung eines Pressefotografenverbandes – in Anwesenheit von Innungsmeister Weinwurm – klar und deutlich dargelegt wurde, zum langsamen aber sicheren Niedergang der Fotografenzunft und insbesondere deren Löhne. Beim einen Ohr ging es damals hinein – und beim anderen gleich wieder hinaus. Warum sollte ein Berufsfotografenkollege denn auch die Mühe auf sich nehmen, einige mittelmäßige Fotos für die Broschüre anzufertigen, welche dann nach der geschmalzenen Honorarliste der Berufsfotografen zu bezahlen wären, wenn das selbe auch besser und mit nur einer Hand voll Dollar-, pardon: einer Hand voll Euro erledigt werden kann.
Kalkulation und Kostenrechnung soll angeblich sogar gelegentlich in den Meisterkursen für Berufsfotografen unterrichtet werden, und die Aspiranten werden eindringlich aufgefordert, kein Preisdumping zu betreiben. Die harte berufliche Wirklichkeit sieht hingegen so aus, dass sich selbst die eigenen Standesvertreter die Kosten für einen „Handwerker“ ihres eigenen Standes lieber sparen! Es ist geradezu so, als würde die Innung der Tischler die Schauräume ihrer Innung mit Bananenkartons und wackligen BILLY-Regalen vom Flohmarkt einrichten.
Wie heuchlerisch ist es denn im Endeffekt, wenn die Innung den selben Amateur- und/oder Pressefotografen, deren Stockfotos sie bisweilen zur Bebilderung ihrer Jubelbroschüren verwendet, es weiterhin verbieten will, ihre Leistung auf dem Markt anbieten zu dürfen – und das aus „Qualitätsgründen“, wohlgemerkt. Die Innung scheint den schleichenden Untergang des eigenen Gewerbes nicht nur schon längst einkalkuliert zu haben, sie hilft auch bereitwillig selbst dabei mit.
Link: Fotografengewerbe: Wirtschaftskammer ignoriert eigene Mitglieder
Heuchelei
In den Nachrichten der Niederösterreichischen Berufsfotografen findet sich auf Seite 30 der Artikel: „Berufsfotograf muss Handwerk bleiben – kein freier Gewerbezugang“, mit dem Satz: „All jenen, die mit dem freien Gewerbezugang spekulieren, erteilte der Landesinnungsmeister der NÖ Berufsfotografen, Josef Henk, beim Landesinnungstag auf der Schallaburg eine Absage…“. Interessant ist bereits die Anmaßung, dass Herr Henk glaubt, souverän verfügen zu dürfen – wo er doch nicht mehr oder weniger als ein Leiter einer simplen Interessensvertretung ist. Gesetzgeber – bracht den jemand? Das Wort eines Kammerfunktionärs ist doch Gesetz genug, oder?
Auf Seite 27 der selben Ausgabe findet sich dann eine Werbung für „Nude Visions“, die aktuelle Ausstellung im Westlicht „mit 250 Fotos, darunter Meisterwerke aus jeder Epoche“, und stellvertretend sieht man ein Foto von Marylin Monroe abgebildet, gemacht 1962 von Bert Stern.
Bert Stern? Weiss die Innung eigentlich, dass Bert Stern ein klassischer Autodidakt ist! Herr Henk, was ist denn hier los? In Österreich dürfte Stern doch bis zum heutigen Tag nach dem Willen der Innung kein einziges Portrait- oder Modefoto anfertigen! Die bei der letzten Sitzung der Monroe gemachten Aktfotos hätten in Österreich ebenfalls gar nicht entstehen dürfen: Stern war eigentlich für ein Modeshooting mit der Monroe gebucht worden. Wie seltsam mutet es da an, wenn in der Zeitung der Meisterfotografen ein Foto Sterns abgebildet und angepriesen wird, wo er doch eigentlich – laut Definition der Innung – in Österreich ein „schwarzes Schaf“ der Zunft wäre, und bereits den Auftrag zum Modeshooting mit der Monroe hätte dankend ablehnen müssen! Die Innung schmückt sich wieder einmal gerne mit „Federn“ internationaler autodidaktischer Fotografen, während sie unseren österreichischen Autodidakten dasselbe noch immer verweigert.
Kleider Bauer macht Mode – und mehr?
Eine besonders bizarre Facette österreichischer Kabinettspolitik trat beim Verhör von Erich Zwettler, Leiter der „Soko Bekleidung“, im Zuge des „Tierschützer-Prozesses“ zu Tage: Die Beschwerde von Werner Graf – einer der Chefs der Firma „Kleider Bauer“ – in der Polizei-Generaldirektion für öffentliche Sicherheit wegen der Beschädigung zweier privater PKW der Familie Graf „durch Tierschützer“ habe in der Aufforderung Grafs gemündet, die Polizei möge einschreiten, da er „dem nicht mehr zuschauen“ wolle.
„Und die Polizei tat Graf prompt den Gefallen: ‚Der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit hat dann den Auftrag erteilt, dass man eine Ermittlungsgruppe einrichten soll, die sich eben mit diesen Straftaten auseinandersetzt.‘ Die Soko bekam zum Einstand auch ein von Kleider Bauer angelegtes Dossier über die Aktionen und die weltanschauliche Ausrichtung der Tierschützer ausgehändigt. Auf Basis dieses Aktenordners, der laut Zwettler ‚einen oder zwei Tage später‘ übergeben wurde, starteten die Erhebungen […] nach dem ‚Mafia-Paragrafen‘ 278a StGb.“ (Quelle: APA)
Egal wie man über den Tierschutz an sich denken mag, aber lässt sich Österreichs Justizia wirklich derart willfährig zur Handlangerin einiger Machtmenschen machen? Das wäre gelinde gesagt skandalös! Wenn die Beschwerde eines einzelnen Kleiderbauer-Chefs schon ausreicht, um so massiven Einfluss auf unser Rechtssystem zu nehmen – wie groß mag dann erst der Einfluss der wohlorganisierten Fotografeninnung auf die Hüter unses Rechtssystems sein? Die Justiz hat aber unabhängig und unbeeinflusst von den Klüngeln der „Mächtigen“ einzig und allein die Interessen der Bürger zu schützen – und nicht bevorzugt die Pfründe einer kleinen Minderheit!
Ein kämmerlicher Bauchfleck
„Rückschlag für die Wirtschaftskammer Wien“ titelte Format in Ausgabe 28, und berichtete über das Gesudere der Kammerfunktionäre nach ihrer Zehn-Millionen-Euro-Pleite im R-Quadrat Debakel. Die Kammer wollte für sich laut Format gerne den Status eines Privatanlegers reklamieren, um den Beratungsschutz für Konsumenten für ihre Schadensersatzklage zu Grunde legen zu können.
Mein lieber Herr Kammerrat, so einfach funktioniert die Welt da draußen halt nicht! Die Finanzwelt ist kein hübscher Streichelzoo, so wie Österreichs Gewerbelandschaft, in der die Gesetze und Regeln den Kammern ein ewig sprudelndes monetäres Füllhorn garantieren, sondern dort wird erwartet, dass die Handelnden mündig sind und wissen was sie tun.
Über den bloßen Unterhaltungswert hinaus wurde aber durch die Affäre die erschreckende Tatsache publik, dass die Wirtschaftskammer mit den Geldern der Mitglieder in großem Umfang an die Börse „zocken“ geht. Für den Missbrauch von anvertrauten Geldern gibt es im Finanzstrafrecht passende Bezeichnungen, und Amtsträger müssen in solchen Fällen mit einem Verfahren wegen Amtsmissbrauch rechnen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist allerdings gering, da „unsere“ Kammern Teil des österreichischen Korruptionssumpfes sind, dessen Trockenlegung noch niemand ernsthaft in Angriff genommen hat. Camera – omertà!
Wer jetzt reflexartig das Lobbyistengesetz anführt, sollte sich den Entwurf einmal genauer ansehen: Die sensibelsten Bereiche der Korruption werden auch in Zukunft von dem Gesetz ausgenommen bleiben.
Die Tragödie hat noch einen zweiten Akt: In Linz „schloss der von der Stadt bevollmächtigte Finanzdirektor mit dieser Absicht eine Zinswette ab: den Franken-Swap-Deal 4175. Der aber bringt die Industriestadt in finanzielle Bedrängnis und die rote Stadtregierung in Erklärungsnot. Denn statt einer Absicherung für 195 Millionen Schweizer Franken (derzeit 177 Millionen Euro) droht bei der aktuellen Kursentwicklung ein Verlust von fast einer halben Milliarde Euro bis 2017.“ (die Presse, 7.8.11) Selfman würde zwar meinen, das sei eine andere Geschichte, aber tatsächlich ist die Unanständigkeit in Politik und Kammern „Part of the Game“, und das Spiel heißt Korruption.
Dass bei so viel fehlendem Unrechtsbewusstsein gerade die Kammern, die eisern am Berufsstandsschutz der Fotografen festhalten, sich selbst in der R-Quadrat-Pleite als private Konsumenten – also als Hascherln – sehen wollen, verhöhnt die Opfer des Foto-Gewerberechts, denen die Gewerbeberechtigung bislang dezidiert aus Gründen des Konsumentenschutzes verweigert wird. Leute ohne Anstand haben aber kein Recht, selbst lautstark Anstand einzufordern!
Des Kaisers Neue Kleider
Die aktuellen Fälle von Karl-Theodor zu Guttenberg (Deutschland, zurückgetreten) und Johannes Hahn (Österreich, noch im Amt) haben uns zwei Dinge bewiesen:
1. Auch Politiker tricksen und lügen bei ihren persönlichen Befähigungsnachweisen.
2. Das Fehlen ihrer Befähigung, der akademischen Qualifikation, ist offenbar bisher niemand aufgefallen.
Bedeutet das nicht am Ende, dass der Zwang zum Qualifikationsnachweis selbst in Frage gestellt werden darf? Sind Guttenberg und Hahn unmoralisch? Vermutlich ja. Aber sind sie „dümmer“ oder „unfähiger“ als Politiker, deren Dissertationen außer Zweifel stehen? Eher nein!
Vielmehr galten Guttenberg und Hahn als Nachwuchshoffnungen der Politik, deren Ideen und Dynamik viele Hoffnungen weckten. Müssen wir jetzt die moralischen Hoffnungen begraben – oder begraben wir nicht besser den blinden Gehorsam zum akademischen System? Die fortschreitende, zwanghafte Akademisierung bindet auf jeden Fall wertvolle Humanressourcen in der Blüte ihrer Jahre. Dies führt zur Erkenntnis:
Guttenberg oder Hahn brauchten in Wahrheit keinen Doktortitel als Befähigungsnachweis, um überdurchschnittlich „gute“ Leistungen zu erbringen.
Da paßt es genau ins Bild, dass sich Guttenbergs Imagewerte in Deutschland seit Bekanntwerden des Plagiatsskandals sogar signifikant verbessert haben. Wichtiger als Titel und Urkunden sind den Menschen des 21. Jahrhunderts offenbar die Taten und Ideen der Politiker. Die Zeit der akademischen Blender scheint langsam zu Ende zu gehen. Es braucht keinen Doktortitel, um erfolgreich zu sein.
Und es braucht auch keinen Meistertitel, um erfolgreich Fotos machen zu können.
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